Plädoyer für eine „Kultur der Vereinbarkeit“

Damit alle Eltern Beruf und Familie vereinbarken können, brauchen wir endlich eine Kultur der Vereinbarkeit. Was sich ändern muss, weiß Nicole Beste-Fopma.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird nun schon seit einigen Jahren in unserem Lande rauf und runter diskutiert. Immer wieder geht es darum, ob eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich ist. Ob Mann/Frau einer Erwerbstätigkeit nachgehen und gleichzeitig den Kindern gerecht werden kann. Noch immer hält sich die Überzeugung, dass es nur schwer möglich ist. Und Corona hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wie schwierig die Vereinbarkeit hierzulande ist. Warum ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dann aber in vielen Ländern, auch solchen in direkter Nachbarschaft von Deutschland, möglich? Warum tun wir uns in Deutschland so schwer damit?

Vereinbarkeit hat zum einen mit den viel diskutierten und nicht ausreichend gegebenen Rahmenbedingungen in Deutschland zu tun. Viel aber auch mit unserer nicht gegebenen „Kultur der Vereinbarkeit“. Eine Kultur, die sich aus einer ganzen Reihe von Mythen nährt. So ist man in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, der festen Überzeugung, dass nur die Mutter ihre Kinder optimal groß- und erziehen kann. Die Tatsache, dass auch Väter, wie in den skandinavischen Ländern, selbst in den ersten Lebenswochen und -monaten die Kinder umsorgen können, wird gerne außer Acht gelassen. Während es in Schweden selbstverständlich ist, dass beide Elternteile sich die Elternzeit paritätisch teilen, werden dem deutschen Vater lediglich zwei Monate angetragen. Nicht umsonst werden die Partnermonate fälschlicherweise gerne auch als Vätermonate bezeichnet. Zwar könnte er nach dem Gesetz auch länger Elterngeld beziehen, aber noch sind die Vorbehalte dagegen groß.

Auch die Tatsache, dass Kinder von Fachkräften optimal gefördert und gefordert werden können, ohne emotional zu kurz zu kommen, findet hierzulande wenig Beachtung. Gerne wird in diesem Zusammenhang von „Fremdbetreuung“ gesprochen, was dem Ganzen dann noch mehr negatives Gewicht gibt. Aber: Wie lange ist dem Kind eine außerhäusliche Betreuungsperson fremd? Leben in Frankreich, dem Land, in dem die Kinder bereits sehr früh in „fremde“ Hände gegeben werden, nur emotionale Krüppel, die ihr Leben nicht in den Griff bekommen? Damit Eltern ihre Kinder guten Gewissens in die Kinderbetreuung geben, muss sich hier aber auch noch einiges ändern. Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel und ein frühpädagogisches Angebot, das über die reine Betreuung der Kinder hinaus geht.

Mal ganz ehrlich: Die Auffassung, dass mehr Mütter arbeiten, sobald es mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren gibt, ist auch ein Mythos. Studien haben dies auch schon belegt. Selbst wenn sich die tief verankerte Einstellung der Deutschen zur Fremdbetreuung ändern. Was ist, wenn die Kinder in die Schule kommen und bereits nachmittags um zwölf daheim vor der Tür stehen? Wo bleibt da die Vereinbarkeit?

Auch im Schulsystem muss sich etwas ändern. Wir brauchen endlich flächendeckend Ganztagsschulen, in denen die Kinder nicht nur schulisch gefördert werden, sondern in denen sie auch die Möglichkeit haben, ein Instrument zu erlernen, Sport zu machen oder ihre handwerklichen Fähigkeiten auszubilden.

Wir brauchen Arbeitgeber, die sich der Fähigkeiten, die sich Eltern als Erzieher ihrer Kinder aneignen, bewusst sind. Eltern entwickeln eine hohe Stresstoleranz. Niemand schult diese Kompetenz besser als ein Kind. Egal wie alt sie sind. Haben Sie schon mal versucht einem Kind, das sich alleine anziehen möchte, schnell mal die Schuhe zu binden? Ganz zu schweigen von der Pubertät. Kinder schulen aber auch die Empathie und das fängt bereits am Tag der Geburt an. Das Kind schreit und die Eltern stehen verzweifelt davor. Sie lernen aber, sich in das Kind hineinzuversetzen. Sehr hilfreich auch im Beruf. Ob mit direkten Kollegen oder Vorgesetzten oder Mitarbeiter*innen.

Wir brauchen Arbeitgeber, die nicht nach Zeit sondern nach Leistung beurteilen.

Wie ist unter diesen Voraussetzungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich? Selbst Optimist*innen müssen sich fragen, ob es tatsächlich spielerisch möglich ist, einen 72-Stunden-Job in der Familie mit einem 40-Stunden-Job im Beruf zu vereinbaren. Ein solcher Konstrukt ist zum Scheitern verurteilt ist.

Sollen jetzt alle Mütter bzw. Väter Zuhause bleiben? Nein! Die Retraditionalisierung ist nicht das, was junge Paare sich wünschen. Die Folgen für Frauen wenig erstrebenswert.

Was wir brauchen ist eine Kultur der Vereinbarkeit!

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