Einfach mal abschalten – Vom Glück der Unerreichbarkeit

Wir sind immer und überall erreichbar. Dabei kann es so schön sein, nicht erreichbar zu sein, meint unsere Autorin Birgit Adam.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Klingel, Pieps, Sie haben Post – am Arbeitsplatz von Miriam Schwarz geht es lautstark zu: Telefon, Handy und Computer zeigen der Texterin, dass sie gefragt ist. Dann kommt auch noch Tochter Johanna (8) früher von der Schule nach Hause: „Hallo, Mami, ich bin schon da! Wann gibt es denn Essen?“ Dabei wollte Miriam Schwarz doch einen Werbetext für einen Kunden schreiben. „Wie soll man sich da noch richtig konzentrieren können?“, fragt sich die 37-Jährige. „Am liebsten würde ich alle Stecker herausziehen und mich einsperren!“

Am Nachmittag geht es munter weiter: Die zweifache Mutter – Sohn David ist gerade vier geworden – arbeitet zwar eigentlich nur halbtags, doch für ihre Auftraggeber ist sie trotzdem immer erreichbar. „Ich habe Angst, dass ich sonst als unzuverlässig gelte“, so die Texterin. Da klingelt das Handy schon einmal, wenn sie gerade David aus dem Kindergarten abholt. Auch nachmittags im Zoo ruft sie zwischendurch kurz ihre E-Mails ab, damit ihr auch ja kein Auftrag entgeht.

Dank Smartphone immer erreichbar


Die moderne Technik mit DSL-Flatrate und Smartphone macht es möglich: Wir sind immer und überall erreichbar. Selbst in Flugzeugen – bisher eine der letzten handyfreien Bastionen – sind Handygespräche immer häufiger erlaubt. In einer Umfrage des Mobilfunkanbieters E-Plus gaben 69 Prozent der befragten Arbeitnehmenden an, auch im Urlaub jederzeit für ihren Chef erreichbar zu sein – die Erholung bleibt dabei oft auf der Strecke. Ohnehin sind die Zeiten, in denen wir zwei Wochen in den Urlaub fuhren und nicht mitbekamen, was zu Hause geschah, schon lange vorbei. Heute halten uns Freunde und Familienmitglieder per WhatsApp oder E-Mail auf dem Laufenden und auch wir laden täglich Fotos von Traumstränden in den Sozialen Medien hoch, damit uns auch alle schön beneiden können. Wir sind zwar hunderte Kilometer weit weg auf einer griechischen Insel, aber trotzdem stets in Kontakt mit Zuhause und natürlich immer erreichbar.


Zudem können wir mit den Smartphones unterwegs unsere E-Mails abrufen und beantworten – und das wird immer häufiger auch erwartet. „Ich habe einen Kunden, der sofort nervös anruft, wenn er nach zwei Stunden noch keine Antwort auf eine E-Mail bekommen hat. Doch ich bin oft auf Terminen und kann nicht immer sofort reagieren“, erzählt Miriam Schwarz. Dabei geht es bei den vermeintlich so dringenden Anrufen oder Mails nur selten um Leben und Tod. Viele Menschen sind nur einfach zu ungeduldig geworden, um eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen und dann auf einen Rückruf zu warten. Und wir geraten in Panik, wenn unsere Internetverbindung einmal einen Tag lang streikt – zu groß ist die Angst, etwas zu verpassen.


Diese ständige Erreichbarkeit geht vielen auf die Nerven: Gerade bei Freiberuflern vermischen sich Arbeit und Freizeit immer mehr, denn es ist schon beinahe selbstverständlich, dass sie ihren Kunden auch abends oder am Wochenende zur Verfügung stehen. Die Folge: Sie können nicht mehr abschalten – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Außerdem leidet unsere Konzentrationsfähigkeit durch die ständigen Unterbrechungen durch Telefon, Handy oder E-Mails. Rund eine Viertelstunde, so haben Experten herausgefunden, dauert es, bis wir nach der Ablenkung, die zum Beispiel eine E-Mail auslöst, wieder zu dem Punkt gelangen, an dem wir vor der Unterbrechung waren.


Doch es geht auch anders: Wir alle sind zu einer Zeit aufgewachsen, in der noch nicht jedes Kind ein Handy hatte – und mal ehrlich: Hätten Sie sich gefreut, wenn mitten im schönsten Spiel Ihre Mutter angerufen und Sie auf die Mathe-Arbeit am nächsten Tag hingewiesen hätte? Als wir im Urlaub in Italien oder an der Nordsee waren, gehörten Mama und Papa zwei Wochen nur uns – der Chef musste sich dann eben einmal ein paar Tage alleine durchschlagen.

Einfach mal nicht erreichbar sein


Es gibt jedoch auch heute noch Menschen, die zwischen- durch einfach einmal abschalten und für eine gewisse Zeit unerreichbar sind. Und das sind keineswegs nur Handy- und Technikverweigerer, die das Rad der Zeit am liebsten zurückdrehen würden. So bieten zum Beispiel einige Hotels in den USA ungestörten Urlaub an – und zwar ohne Handy-Empfang und W-LAN. Einfach einmal abzuschalten, würde uns allen gut tun. Dann könnten wir unsere Aufmerksamkeit ganz der Sache widmen, an der wir gerade arbeiten. Wir könnten einen Gedanken in Ruhe zu Ende denken, ohne dass uns das Telefon aus unserem Gedankengang herausreißt. Freizeit bleibt Freizeit, und das ist wichtig, denn wir brauchen einen Ausgleich zum Arbeitsleben. Das gilt auch umgekehrt: Wenn gearbeitet wird, dann sollten uns die Kinder nicht stören – von Notfällen natürlich abgesehen. „Ab
und zu arbeite ich abends“, so Miriam Schwarz. „Meine Kinder wissen dann, dass nun der Papa für sie zuständig ist. Sie kommen eben nicht einfach ins Zimmer und fragen: ‚Mami, kann ich noch ein Eis haben?’ Ich bin in der Arbeit, auch wenn mein Büro im selben Haus ist.


Nicht nur wir selbst sollten ab und zu einmal abschalten, wir sollten auch anderen das Recht zugestehen, gelegentlich unerreichbar zu sein. Doch das fällt uns nicht leicht, denn wir sind gewohnt, auf eine E-Mail sofort eine Antwort zu bekommen oder schnell zurückgerufen zu werden. Ich nahm mir neulich an einem verregneten Donnerstagnachmittag die Freiheit, einfach so ins Kino zu gehen. Als ich nach dem Film mein Handy wieder einschaltete, zeigte mir das Display drei entgangene Anrufe an – nicht etwa wichtige berufliche Dinge, sondern meine Mutter. Ihre erste Reaktion bei meinem Rückruf war: „Wo warst du denn, ich habe mir schon Sorgen gemacht!“ Ich, eine Frau von 39 Jahren, war einmal zwei Stunden nicht erreichbar und schon malte meine Mutter sich die schlimmsten Dinge aus! Wie hat sie das nur überlebt, als ich als Zehnjährige ganze Nachmittage mit meinen Freunden im Wald verbrachte?

Australisches Outback oder No-E-Mail-Friday


Welche Möglichkeiten haben wir, um abzuschalten und eine Zeitlang unerreichbar zu sein? Dazu brauchen wir nicht ins australische Outback oder in ein Kloster zu fahren, wir müssen einfach nur ein paar Kleinigkeiten in unserem Alltag ändern: Zuerst einmal können wir unseren E-Mail-Eingang gezielt steuern und E-Mails nur zu bestimmten Zeiten abrufen – zum Beispiel nach der Mittagspause, wenn wir ohnehin gerade einen Durchhänger haben. So bestimmen nämlich wir selbst, wann wir uns um unsere Post kümmern, und nicht der Klingelton unseres Posteingangs. Oder wir verzichten einen Tag ganz auf die elektronische Post – verschiedene Firmen in den USA haben es vorgemacht: Sie führten vor einigen Jahren den „No-E-Mail-Friday“, also einen E-Mail-freien Freitag, ein. An diesem einen Wochentag sollten die Angestellten keine E-Mails versenden, sondern stattdessen lieber persönlich mit Kunden und vor allem Kollegen sprechen. Denn oft lassen sich wichtige Fragen viel besser durch ein persönliches Gespräch klären als durch ein Hin und Her von E-Mails. Bei Aufgaben, die unsere besondere Aufmerksamkeit verlangen, können wir unsere Anrufe für kurze Zeit auf eine Kollegin oder einen Kollegen umleiten und natürlich zu einem späteren Zeitpunkt dasselbe für sie tun. Freiberufler schalten den Anrufbeantworter ein und erklären ihren Kunden darauf charmant: „Ich arbeite gerade für Sie und brauche all meine Konzentration. Ich werde Sie jedoch sobald wie möglich zurückrufen.“ Wer wüsste so viel Arbeitseifer nicht zu schätzen?


Auch Miriam Schwarz wollte für ihre Kunden nicht mehr rund um die Uhr erreichbar sein. Nachmittags nimmt nun ein externer Büroservice ihre Anrufe entgegen und sie kann ungestört Zeit mit ihrer Familie verbringen. „Meine Freizeit gehört nun wieder meiner Familie und ich fühle mich wesentlich entspannter“, so die Texterin.

Birgit Adam

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