„Ich bin das Thema „Vereinbarkeit“ ziemlich blauäugig angegangen.“ Katja von Glinowiecki

Katja von Glinowiecki kennt die Vereinbarkeit aus der Theorie und der Praxis. Wie sie Beruf und Familie vereinbart hat sie uns im Interview verraten.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Katja arbeitet zwischen 30 bis 40 Stunden pro Woche als selbständige Unternehmerin. Sie ist ausgebildete Dipl. Kommunikationswirtin, Coachin, Mentorin und Kommunikationstrainerin. Außerdem moderiert sie Workshops und hält Keynotes zum Thema Vereinbarkeit. Ihr Mann hat eine 60+ Stunden Woche. Gemeinsam haben die beiden drei Kinder im Alter zwischen sieben und 15 Jahren.

Wie seid Ihr zu Eurem ganz individuellen Vereinbarkeitmodell gekommen? Wurde alles besprochen, bevor das Kind auf der Welt war oder hat sich das so ergeben?


Diese Frage hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht. Tatsächlich haben wir uns im Vorfeld nicht darüber unterhalten, wie das alles wohl werden würde, wenn Kinder da sind. Es hat sich so ergeben – je nach Situation. Und Situationen hatten wir viele.
Aus heutiger Sicht war ich vor der Geburt unserer Kinder sehr blauäugig. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass die Gründung einer Familie nicht zu einem Einschnitt in mein Berufsleben führen würde. Wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass wir uns die Erziehung der Kinder gleichberechtigter würden aufteilen können.


Als dann aber unsere Kinder geboren wurden, sah das alles dann ganz anders aus. Elterngeld und Elternzeit waren gerade eingeführt, aber der Arbeitgeber meines Mannes hat ihm ganz klar zu verstehen gegeben, dass dies nicht für ihn gelte. Wenn er sich als Vater engagieren wolle, könne er das am Wochenende machen. Wir haben das damals so hingenommen.


Dann kamen mehrere Jahre Ausland. Erst China, dann Indien und zurück nach China. Da mein Mann der Entsendete war, gab es für mich kaum eine Möglichkeit erwerbstätig zu sein. Also habe ich mich um die Kinder gekümmert, mich ehrenamtlich engagiert und weitergebildet.
Als wir wieder nach Deutschland zurückkamen, war ich schwanger. Mit Babybauch im sechsten Monat einen Arbeitgebenden zu finden – unmöglich. Also habe ich mich selbstständig gemacht und die Vereinbarkeit immer nach meiner beruflichen Flexibilität ausgerichtet. Nach all den Jahren aus dem Job konnte ich gehaltlich nicht mehr mit meinem Mann konkurrieren.

 
Kurz gesagt: Die Vereinbarkeit von Familie & Beruf hat sich aufgrund der Rahmenbedingungen so ergeben und wurden von uns auch nicht hinterfragt. Mal ganz davon abgesehen, dass uns auch einfach Rollenvorbilder fehlten.

Wie sieht Euer Modell heute aus?


Die Kinder sind jetzt in einem Alter, in dem alles sehr viel einfacher ist. Hinzu kommt, dass ich mein Büro direkt am Haus habe. Ich kann also fünf Vormittage arbeiten und die Kinder nach der Schule (in aller Regel um 13 Uhr) empfangen, für sie kochen und ihre Hausaufgaben betreuen. An den Nachmittagen plane ich meine Termine um die Aktivitäten der Kinder herum. Der große Vorteil meiner Selbstständigkeit: Ich kann arbeiten wann und wo ich will. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass ich vom Auto aus arbeite. Ich arbeite aber auch jeden Samstagvormittag und häufig abends. Zumindest an den Tagen, an denen mein Mann im Homeoffice ist, denn dann übernimmt er das Abendprogramm.
Ist mal eines der Kids krank, bin ich da. Fällt die Schule aus, kann ich das kompensieren. Dass wir dieses Modell gewählt haben, hängt aber auch damit zusammen, dass jedes unserer Kinder seine ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringt – von Legasthenie bis Hochbegabung. Für diese Herausforderungen gibt es in Deutschland einfach keine geeigneten Betreuungsformen.
Die Wochenenden gehören der Familie oder sind reine Papa-Zeit. Er begleitet die Kinder dann zu Sportwettkämpfen, lernt mit ihnen die Fächer, in denen ich nicht so mithalten kann und kümmert sich um die handwerklichen Interessen der Kinder. Ich habe dann auch mal Zeit für mich.  

Hattet Ihr Vorbilder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wenn ja, wen?


Ja. Tatsächlich unsere eigenen Eltern, von denen beide Elternteile immer berufstätig waren. Aber diese Rollenvorbilder taugten für uns nicht wirklich als Vorbilder, da wir mit komplett anderen Rahmenbedingungen klarkommen mussten. Im eher konservativen Baden-Württemberg waren meine ostdeutschen Wurzeln und Vorbilder nichts wert und bei meinem Mann (aus dem Sauerland) hat die Oma einen Großteil der Kinderbetreuung aufgefangen. Wir hatten die Großeltern aber nicht in der Nähe und mussten daher unser Modell immer wieder nachjustieren.  


Welche sind die größten Herausforderungen bei Euch?


- Fehlende qualifizierte und verlässliche Betreuungsangebote für Grundschule und weiterführende Schulen (5., 6. und 7. Klassen) dort, wo wir wohnen
Akzeptanz der berufstätigen Mutter im konservativen ländlichen Raum.
- Bei mir – den eigenen Erwartungen an beiden Rollen gerecht zu werden: Mutter UND erfolgreiche Karriere

- Bei meinem Mann – fehlende Rollenvorbilder. Er ist Mitte 50 und hat einer gehobene Führungsposition



Welche Familienkompetenzen habt Ihr durch die Erziehung der Kinder erworben?


Flexibilität, Resilienz, strategisches Planen, Empathie, Motivationsfähigkeit, Fokus, Lösungsorientierung, Routinen finden



Könnt Ihr diese Kompetenzen im Job nutzen?

100%

Hast Du ein Beispiel für uns?


Nehmen wir die Routinen. Alle Eltern wissen seit den Tagen mit Baby und Kleinkind, wie wichtig und erleichternd Routinen sind. Struktur für den Tag und Rituale geben Vertrauen, Sicherheit und Klarheit.


Das war mir vor der Familiengründung nicht so bewusst. Abenteuer und Abwechslung zählten mehr.
Heute geben mir Routinen in meinem beruflichen und unternehmerischen Alltag genau diese Sicherheit und das Selbstvertrauen. Sie motivieren mich. Struktur und wiederkehrende Aufgaben sind meine Rituale, die mir beim Priorisieren helfen.



Habt Ihr im Job Diskriminierung erfahren, weil Ihr Eltern seid?


Ich habe keine Festanstellung mehr bekommen und trotz Wiedereinstieg als freie Projektmitarbeiterin nie die Wertschätzung erhalten, die ich mir gewünscht habe.
Die Selbständigkeit war zu Beginn eine Notlösung, um den beruflichen Anschluss nicht zu verlieren. Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen haben mich erst einige Jahre später mit mehr Selbstbewusstsein und klarer Kommunikation meiner Forderungen/Erwartungen wieder einsteigen lassen.
Bei meinem Mann, wie oben bereits erwähnt, wurde eine aktive Vaterrolle aus Unternehmenssicht nie gefördert und dies wurde von uns (leider) so akzeptiert.

Werdet Ihr im Job von Eurem*r Vorgesetzten und dem Team unterstützt?
Ein Grund, warum ich im Team und als Partnerin bei parents@work meine Mission, Leidenschaft und beruflichen Erfolg gefunden habe, ist die Vereinbarkeit von Familienrollen mit Karriere. Genauso wie ich mir das vorstelle: Alle im Team sind Eltern und Coaches und schenken gegenseitiges Vertrauen, Unterstützung, Motivation, Austausch.

Was würdest Du heute anders machen?


Eigentlich nichts. Rückblickend bereue ich nicht, wie sich alles gefügt hat. Ich bin stolz auf meine Familie, die Beziehung zu meinen Kindern, unseren Zusammenhalt und was ich beruflich inzwischen erreicht habe. Ich musste mich mehrfach beruflich neu finden und orientieren, aber auch darin sehe ich viel Positives.
Ich habe mich mit unserem Vereinbarkeitsmodell arrangiert, auch weil die Kinder älter werden und ich mir heute viel klarer bin über meine Erwartungen und Ansprüche an Karriere und beruflichen Erfolg. Alles auf einmal geht nicht und die richtige Balance verhandele ich mit mir selbst, meinem Mann und meiner Familie.

Welchen ultimativen Tipp habt Ihr für junge Eltern, die Beruf und Familie vereinbaren wollen?

1.) Miteinander Reden!
2.) Die Ausgestaltung der Vater- und Mutterrolle als Elternpaar besprechen. Wünsche formulieren und zu möglichen Kompromissen bereit sein.
3.) Arbeitgeber gezielt nach familienfreundlichen Bedingungen aussuchen. Erwartungen klar kommunizieren und aktiv Wünsche einfordern.
4.)Den eigenen Wert kennen, persönliche Stärken bewusst machen, Rollenvorbilder suchen.
5.) Freunde/Bekannte/Kolleg*innen oder auch Mentor*in, Coach*in aktiv um Hilfe bitten

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