Wenn der Mann die Frau ins Ausland begleitet – Vereinbarkeit in Shanghai

Normalerweise sind es die Frauen, die ihre Männer ins Ausland begleiten. Es gibt aber auch Männer, die ihre Frauen begleiten. Wir haben drei getroffen.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

„Wir haben uns China nicht ausgesucht.“ erzählt Stephan Matthias (48). Jetzt lebt er seit knapp einem Jahr mit seiner Frau Stephanie (35) und der gemeinsamen Tochter Malou (3) in Shanghai und hat die Entscheidung noch keinen Tag bereut. Stephanie arbeitet hier als Lehrerin an der Deutschen Schule, Stephan ist Guytai. Was sich zunächst etwas zwielichtig anhört, ist ganz harmlos. Guytais* sind (Expat)Ehemänner, die nicht arbeiten müssen, da ihre Ehefrauen das Geld verdienen. Viele Guytais gibt es noch nicht. Laut einer Umfrage des internationalen Expat-Netzwerks InterNations sind 14 Prozent aller Mitziehenden männlich. Zahlen darüber, wie viele davon Väter sind, gibt es nicht.

Die Elternzeit als Expatzeit

Stephan, Beamter im gehobenen Dienst des Statistischen Bundesamtes in Bonn, war gerade in der Elternzeit als seine Frau Stephanie das Angebot erhielt, für für drei Jahre an der Deutschen Schule in Shanghai zu unterrichten. Das Paar hatten vier Tage Bedenkzeit. „Wir sollten schon lange für ein paar Jahre beruflich ins Ausland. Also haben wir nicht lange gezögert und zugesagt.“ Da Stephans siebenmonatige Elternzeit aber zum Zeitpunkt des Umzugs nach Shanghai ablaufen würde, hat er sie kurzerhand bis Juni 2020 verlängert. Bis zum Ende der Entsendung nimmt er jetzt unbezahlten Urlaub. Er weiß: „Als Beamter im öffentlichen Dienst habe ich sehr viele Freiheiten und gleichzeitig viele Sicherheiten.“ Sich darüber Gedanken machen, ob und wie er nach dem Chinaaufenthalt wieder in den Beruf einsteigt, muss er sich nicht machen. Auch will er sich in Shanghai keinen Job suchen. „Ich wollte schon immer mal eine Auszeit nehmen. Die jetzige ist zwar länger als geplant, aber langweilig wird mir nicht.“ Er genießt sein Leben als Vollzeitvater in vollen Zügen, arbeitet ehrenamtlich in einem Waisenhaus für Kinder mit Behinderung und engagiert sich in einem deutsch-französischem Freundschaftsverein, der auf dem EuroCampus der deutsch-französischen Schulgemeinschaft Veranstaltungen organisiert.

Karriereknick oder Kick

Für viele begleitende Partner bedeutet die Zeit im Ausland einen „Knick“ in der Karriere oder gar das Karriereaus. „Allerdings,“ so beobachtet Gabriele Rettig, interkulturelle Trainerin aus Essen, „ist vielen dieser Männer ihre Karriere beziehungsweise ihr berufliches Vorankommen nicht ganz so wichtig, wenn die Partnerin durch den Auslandsaufenthalt die eindeutig besseren Karrierechancen hat.“ Sie hatte bereits etliche begleitenden Ehemänner im Training und hat beobachtet, dass diese Paare keine „Standardbeziehung“ im klassischen Sinne führen. Diese Männer legen einen besonders großen Wert auf eine gleichgestellte Partnerschaft und das kann dann auch schon mal bedeuten, dass sie diesen beruflichen Einschnitt hinnehmen, um die Karriere ihrer Ehefrauen zu unterstützen,“ so Rettig.

Peter Bosseker (35) hatte in Deutschland als Berater in einer Bremer Agentur das Familieneinkommen verdient, während seine Frau Claudia (38) mit den Kindern Wilhelm (5) und Elise (3) in Elternzeit Zuhause war. Mit dem Umzug nach China  im Sommer 2017 ging es, wie er selbst sagt „in zweierlei Hinsicht von null auf hundert  – neue Rollenverteilung und neue Kultur“. Jetzt arbeitet Claudia als Lehrerin an der Deutschen Schule und er kümmert sich um die Kleinen. „Ich sehe die Zeit als eine Art Stipendium und nutze sie, um über mich, meine berufliche Zukunft und die Welt nachzudenken,“ philosophiert er. Auf Heimaturlaub in Deutschland haben die Ergebnisse seiner, wie er sie selbst nennt, „vorgezogene Midlife-Crisis“ dann auch schon zu manch heftiger Diskussion geführt. „Wenn ich Freunde frage, warum sie sich nicht mehr auf die Familie konzentrieren oder einen Job mit „Purpose“ machen, kommt nicht selten ein: „Du hast gut Reden!“ Also lasse ich das jetzt lieber und genieße meine Zeit. Kümmere mich um die Kinder, während der Coronazeiten 24/7, entdecke die Stadt, engagiere mich als Volleyball Trainer in der Schule und plane unsere Reisen.“

Beruflicher Neuanfang in China

Darüber, wie es für ihn nach der Rückkehr nach Deutschland weitergehen soll, macht Peter sich schon längere Zeit Gedanken. Er weiß: „Drei oder mehr Jahre „Leerlauf“ im Lebenslauf machen sich nun mal nicht gut.“ Bedenken, die viele Männer haben, die ihre Frauen begleiten. „Wenn Männer Zweifel  haben, dann beziehen sich diese in den meisten Fällen auf das Berufliche. Sie wollen wissen, ob sie im Ausland freiberuflich arbeiten können, welche Restriktionen es gibt und an wen sie sich wenden können,“ weiß Rettig.

Seit einiger Zeit ist Peter schon auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ganz so einfach ist das aber nicht. Wer in China erwerbstätig sein will, muss einen enormen bürokratischen Aufwand auf sich nehmen. Finden die Ehepartner im Ausland dann doch einen Job, handelt es sich meist um eine Tätigkeit unter ihrem fachlichen Niveau. Für Peter sah es ganz gut aus. Eine Berliner Beratungsagentur hatte ihn angefragt, in Shanghai eine Dependance aufzubauen. Alles war auch schon fast in trockenen Tüchern. Dann kam Corona. Jetzt ist alles wieder offen.

Exoten in der Großstadt

Also genießt Peter weiterhin das Leben als Guytai und testet gemeinsam mit seinen Kindern, Stephan und Malou die Spielplätze in Shanghais Parks. Beide Familien wohnen in der gleichen Wohnanlage in der Nähe der Deutschen Schule. Die Kinder sind in einem ähnlichen Alter. Man kennt sich.
Beide Männer waren sich durchaus bewusst, dass sie in China mit ihren blonden Kindern Exoten sein würden. Dass sie aber so exotisch sein würden, hätten sie dann doch nicht gedacht. Egal auf welchem Spielplatz die beiden Männer mit ihren Kindern unterwegs sind, überall werden sie nicht nur ständig fotografiert sondern in aller Regel auch verständnislos angestarrt. Aber nicht, weil sie hier als Väter allein unter Müttern sind. Nein! Hier sind sie allein unter Großvätern und Großmüttern. In China ist es üblich, dass beide Elternteile erwerbstätig sind. Sobald ein Kind geboren wird, ziehen die Großeltern in die Wohnung der jungen Familie und kümmern sich um das Kind. Möglich macht das das frühe Rentenalter der Chines*innen. Frauen werden bereits mit 55 und Männer mit 60 Jahren verrentet.

Aber selbst innerhalb der Expatgemeinschaft erfahren sie immer wieder, dass Männer wie sie doch noch immer keine Selbstverständlichkeit sind. Als Stephans Frau für einige Tage mit ihrer Klasse auf Klassenfahrt ging, wurde sie auf einer Schulfeier gefragt, wer denn während dieser Zeit auf die Kleine aufpassen würde. Dass nicht Stephan sondern Stephanie die Entsandte ist, kommt nur den Wenigsten in den Sinn. „Viele denken noch immer, dass ich bei einem der großen deutschen Arbeitgeber hier in Shanghai arbeite und Stephanie als begleitende Ehefrau glücklicherweise einen Job an der Schule gefunden hat,“ so Stephan.

Die Kinder in Deutschland, die Eltern als Expats in China

Die beiden Söhne von Alexander Korol (53) und seiner Frau Simone (55) waren schon älter, als Simone nach Shanghai entsendet wurde. Alexander war bereits 2006 beruflich zurückgetreten, um sich um die Familie zu kümmern. Simone hatte damals das Angebot erhalten, als Personalerin bei ihrem jetzigen Arbeitgeber, einem Ludwigshafener Großkonzern, in Vollzeit einzusteigen. „Als klar wurde, dass wir umziehen würden, habe ich das Gespräch mit meinem Arbeitgeber gesucht. Schnell hatten wir eine für beide Seiten gute Lösung gefunden. Ich wurde freigestellt,“ berichtet Alexander, der bis dahin als Projektleiter für einen Fahrradverleiher gearbeitet hatte.

Im Sommer 2016 ging es dann nach China. Zunächst mit Kindern. Vincent hatte gerade sein Abitur beendet und nutzte die Gelegenheit, um an der Universität in Shanghai Chinesisch zu lernen. Finn, damals 16 Jahre alt, sollte auf der Deutschen Schule in Shanghai seinen Abschluss machen. „Das funktionierte aber leider aus unterschiedlichen Gründen nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten,“ erzählt Alexander. Nach reiflicher Überlegung entschied der Familienrat, dass die Jungs gemeinsam nach Deutschland zurückkehren sollten. Vincent als Student und Finn als Schüler. „Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, aber wir haben sie nie bereut. Das Jahr Shanghai hat die beiden Brüder positiv geprägt. Wir wussten, dass sie es zusammen schaffen würden. Finn war in den Schulferien immer bei uns und aufgrund der modernen Medien konnten wir engen Kontakt halten.“

Seit einige Zeit pendelt Alexander, der immer Kontakt zu den Kolleg*innen gehalten und bei Fragen unterstützt hatte, verstärkt zwischen Deutschland und China. Während China aufgrund der Corona-Krise die Grenzen geschlossen hatte, war er in Deutschland. „Das war hart. Wir waren noch nie so lange getrennt. Zwar telefonierten wir jeden Tag, aber das ist keine Kompensation für ein Leben zusammen. Auch die Zeitverschiebung macht es nicht einfacher,“ so Alexander.  

Entweder es knallt oder wir gehen gestärkt raus

Nicht erwerbstätig zu sein, hat für viele Männer aber auch noch eine ganze andere Dimension. Sie sind während dieser Zeit, viele das erste Mal in ihrem Leben, ganz auf das Einkommen ihrer Frau angewiesen. Während in Alexanders Beziehung schon lange Simone die Hauptverdienerin und es für ihn „Teil des Deals“ ist, hatte Stephan „anfangs noch ein komisches Gefühl“. Für ihn fühlte es sich falsch an, „das Geld meiner Frau“ auszugeben. Aber seine Frau hat ihm die Bedenken genommen. Sie weiß: „Stephan und ich können das alles hier nur als Team machen. Ohne Stephan könnte ich nicht mit Kind in Shanghai leben und arbeiten.“ Eine Aussage wie Rettig sie in ihren Trainings immer wieder wahrnimmt: „Frauen sind ihren begleitenden Partnern sehr viel dankbarer als das Männer ihren begleitenden Ehefrauen gegenüber sind. Es gibt immer noch Männer, die glauben, ihre Frauen müssten ihnen dafür dankbar sein, mitgenommen zu werden. Dankbar für die Gelegenheit und den oftmals damit verbundenen höheren Lebensstandard. Und es sind eben diese Männer, die die Herausforderungen nicht sehen, vor die ihre begleitenden Partnerinnen gestellt werden. Insbesondere dann, wenn Kinder dabei sind.“

Diese Herausforderungen und die damit verbundene emotionale Belastung führen immer wieder zu Scheidungen, wie Yvonne Mc Nulty in ihrer Studie „Till stress do us part: the courses and consequences of expatriate divorce“ feststellte. Auslandsentsendungen haben eine signifikante Auswirkungen auf das Familiensystem. Auswirkungen vor denen Peter und seine Frau auch durchaus Respekt hatten. „Wir haben uns ganz bewusst mit diesem Thema auseinander gesetzt und uns durchaus gefragt, was so ein Auslandsaufenthalt mit unserer Beziehung macht. Ob die neuen Herausforderungen auch neue Konflikte bergen. Aber China hat unsere Beziehung eher gestärkt. Uns als Paar zusammengeschweißt,“ meint Peter. Stephan und Stephanie geht es ähnlich. „Was unsere Beziehung aber wirklich fordert, ist die Coronakrise,“ gesteht er.

Alle Kitas sind geschlossen und Stephanie arbeitet im Homeoffice. Sie betreut von hier aus via Internet ihr Schüler*innen. Hält Unterricht ab, korrigiert Arbeiten, bereitet neuen Unterricht vor. Damit sie konzentriert arbeiten kann, muss Stephan Malou beschäftigt halten. „Wir kommen gerade beide an unsere Grenzen. Ich bin mir sicher: Entweder es knallt oder wir gehen gestärkt aus dieser Krise hervor. 24/7 aufeinander zu hängen, ist nicht immer schön,“ gibt Stephan zu.

Aber die Zeit missen? Es bereuen, den Schritt gemacht zu haben? Nein! Auf die Frage, ob sie ihre Frauen wieder ins Ausland begleiten würden, kommt von allen drei Männern ein deutliches: Sofort! Definitiv! Gar keine Frage! Alle drei sind sich darüber einig, dass bei ihnen die Vorfreude überwog. Alle drei empfanden die Entsendung ihrer Frauen als eine Chance für sich, als Paar und für die Familie. Aber sie sind sich auch darin einig, dass es eine Herausforderung war und ist, das komplette soziale Netzwerk zurückzulassen und in einem anderen Land, in einem komplett neuen Kulturkreis von vorne anzufangen. „Wobei Shanghai es uns einfach macht. Hier gibt es eine sehr große internationale Gemeinschaft und unheimlich viele Expat-Gruppen. Alle werden hier mit offenen Armen aufgenommen. Denn alle wissen, wie es ist, neu zu sein,“ schließt Alexander.

Der Text wurde 2019 für das Dads Magazin geschrieben, welches dann aber aufgrund der Corona-Krise nicht erschienen ist. Die drei Familien sind mittlerweile wieder in Deutschland angekommen. Wer wissen möchte, was aus Peter geworden ist und was er rückblickend über seine Zeit in Shanghai berichten kann, sollte sich den Podcast von "Echte Papas" anhören.

*Abgeleitet von Taitai – der Begriff für Ehefrauen, die nicht erwerbstätig sein müssen.

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