Jesper Juul über Kinder und Führung

Jesper Juuls über zentrale Erziehungsgrundsätze, partnerschaftliche Erziehung und moderne Mütter- bzw. Väterrollen.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Jesper Juul (†) war einer der bedeutendsten Familientherapeuten. Er war Gründer des Kempler Institute of Scandinavia und Autor zahlreicher Bücher rund um die Themen Erziehung und Familienbeziehungen.

Karl Valentin sagte „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Gilt das auch für die Erziehung?

Erziehung, Partnerschaft, Sexualität, Unternehmertum und alle anderen Arten von verpflichtenden Beziehungen sind immer mit harter Arbeit verbunden.

Was macht eine gute Erziehung heutzutage aus?

Eine Erziehung, bei der Eltern eine autoritative (nicht zu verwechseln mit autoritäre) Führung übernehmen, die auf Werten und Prinzipien basiert. Starke und gesunde Kinder brauchen Eltern, die in der Lage sind, die einzigartigen Eigenschaften und Potentiale ihres Kindes zu unterstützen. Nur so kann es ein gesundes Selbstgefühl entwickeln. Was bedeutet das für das Kind? Das Kind erfährt experimentierend und lernend seine eigene Stärke, persönlichen Grenzen und Einschränkungen und hat dabei unverstellten Zugang zu seinen Emotionen und seiner sozialer Intelligenz. Das erfordert Raum für Versuch und Irrtum, Versuch und Erfolg. Raum dafür, sich ebenso einbezogen wie ausgeschlossen zu fühlen und als wertvolles Mitglied der Familie und der Gesellschaft anerkannt zu werden.

Sollten Eltern sich dennoch Standards setzen?

Oh, ja. Es ist sehr wichtig für jede Familie, Gruppe oder Organisation eine Reihe von Werten zu haben, die als Orientierung dienen können, wenn sich Konflikte auftun. Vor einigen Generationen wurde Eltern gesagt, dass sie konsequent sein müssen, um gehorsame Kinder großzuziehen. Das war niemals richtig. Das bedeutet aber nicht, dass es besser ist, inkonsequent zu sein. Eltern müssen konsequent sein – ihr Verhalten sollte ihre Werte spiegeln. Wenn dies der Fall ist, können sie Konflikte einfacher lösen und sie werden vertrauenswürdig genug, um das Vertrauen ihrer Kinder zu erwerben. Das ist viel nachhaltiger als Gehorsam.

Berufstätige Eltern stehen oft unter Zeitdruck, zum Beispiel morgens, wenn alle pünktlich aus dem Haus müssen. Tanzt ein Kind dann „aus der Reihe“, erhöht sich der Druck. Was empfehlen Sie Eltern in der Situation?

Eltern müssen realisieren, dass sie ein Tempo und einen Rhythmus finden müssen, das zu allen passt und trotzdem „den Laden am Laufen hält“. Das einzige, was Eltern dafür tun müssen, ist, eine Atmosphäre zu schaffen, die besagt: „Wir wissen, dass Du nicht in Eile bist, um aus dem Haus zu kommen. Aber wir sind es. Also lass uns wissen, wenn wir zu stressig für dich sind und wir sagen Dir, wenn wir Deine Hilfe brauchen, um zur Arbeit zu kommen.“ Kinder sind glücklich, wenn sie kooperieren können. Aber sie mögen es nicht, auf eine manipulierende Weise „motiviert“, beschwatzt oder kommandiert zu werden. Genau so wenig wie Erwachsene. Seien Sie geradlinig und ehrlich darin, was Sie von den Kindern wollen und dann werden Sie es meistens bekommen.

Viele Eltern in Deutschland wünschen sich eine partnerschaftliche Aufgabenteilung. Wie lässt sich eine partnerschaftliche Erziehung organisieren?

Ich denke nicht, dass das etwas mit Organisation zu tun hat. Sicher müssen Eltern all die praktischen Angelegenheiten planen, damit die ganze Infrastruktur so reibungslos wie möglich funktioniert. Aber am Ende des Tages funktioniert Gleichberechtigung nicht ohne Gleichwürdigkeit und persönliche Verantwortung. Wenn es zu den wichtigen Dingen in einer Familie kommt - Geschirrspülen, Kochen, Bügeln, mit den Kindern spielen, Gartenarbeit, Einkaufen, Hausaufgaben, die Atmosphäre zwischen den Erwachsenen, Sexleben, Stress etc., dann müssen sich beide Erwachsene zu 100 Prozent verantwortlich fühlen. Wenn das klar ist, können sie Aufgaben delegieren. Die letzten zwei Jahrzehnte haben wir viel zu viele Ehepaare gesehen, die sich scheiden ließen, obwohl die Familienorganisation reibungslos funktionierte. Die wirklich wichtigen Dinge wie Nähe, Bedeutung, Freude, geteilte Werte und Verantwortung können nicht organisiert werden. Sie brauchen Raum, Zeit und ein gegenseitiges starkes Bedürfnis. Das gibt unserem Leben Sinn und bereichert es.

Sie sind Institutionen gegenüber skeptisch. In Ihrer Schrift „Wem gehören unsere Kinder?“ von 2012 sagen Sie, die Ausbildung der Pädagogen sei unpassend, um für eine gute Qualität der Betreuung zu sorgen. Berufstätige Eltern kommen jedoch kaum ohne Kitas und Kindergärten aus. Worauf sollten sie achten?

Sie sollten Zeit in der Einrichtung verbringen – bevor und nachdem sie ihr Kind dort anmelden – und darauf achten, wie sie sich fühlen. Herrscht eine gute und warme Atmosphäre? Werden die Werte gelebt? Werden Kinder und Eltern in die Arbeit einbezogen und ist man ihnen gegenüber flexibel? Sind die Menschen dort willig, ihren Bedenken und Vorschlägen zuzuhören und geben sie intelligente Antworten?

In Ihrem aktuellen Buch „Leitwölfe“ schreiben Sie zum ersten Mal über Mütter. Was sollte die Gesellschaft grundsätzlich über Mütter lernen?

Dass sie langsam beginnen, zu denken und zu reagieren wie reale Personen – d.h. man kann nicht erwarten, dass sie sich der von der Gesellschaft vorgefertigten Form anpassen. In welcher Hinsicht braucht das Väterbild eine Überarbeitung? Wie ich in meinem Buch über Vaterschaft geschrieben habe, bin ich mir nicht ganz sicher. Ich beobachte die jungen Väter von heute und lerne.

Was sind die besonderen Herausforderungen von Vätern in der Familie und Paar-Beziehung?

Wir haben gesehen, dass Männer sehr willens und fähig sind, die grundlegenden Fertigkeiten bei der Versorgung von Babies und auch andere Fertigkeiten zu lernen, die traditionell von Müttern geleistet wurden. Die wichtigste und schwierigste Herausforderung ist es, die Rolle zu übernehmen, die ich „Minister of love“ nenne. Das heißt Führung zu übernehmen, die ein gesundes Gleichgewicht zwischen Elternschaft und Partnerschaft beinhaltet. In den letzten Jahren wurden Kinder zum Zentrum der Familien gemacht, was weder für ihre Entwicklung noch für die wichtige Frau-Mann-Beziehung gesund ist. Väter stehen daher vor einer historisch neuen Herausforderung, für die es keine Vorbilder gibt.

Welchen Rat geben Sie alleinerziehenden Eltern?

Versuchen Sie nicht, beides zu sein, Mutter und Vater. Das ist unmöglich, weil Sie entweder eine Mutter oder ein Vater sind. Es würde Ihre Energie rauben und ihre Elternschaft zur Aufopferung werden lassen. Stattdessen empfehle ich Ihnen, ein starkes soziales Netzwerk aufzubauen.

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